“Die Tränen schossen mir in die Augen – aus Respekt vor mir selbst”

Wenige Tage vor ALPIN8 2024 hat Tanja durch Zufall von unserem Event erfahren. Eine Freundin hat einen Post auf Instagram gesehen und direkt gewusst: Das ist etwas für Tanja. Nicht, weil sie Trailläuferin ist (nein, sie läuft nicht)  oder ständig bei irgendwelchen Events dabei ist (nein, sie hat noch nie bei einem Lauf-Event mitgemacht) , sondern weil Tanja unfassbar willensstark ist. Und das kommt nicht von ungefähr.

Tanja hatte vor einigen Jahren einen schweren Unfall mit ihrem Mountainbike, bei dem sie sich unter anderem diverse Wirbel zertrümmert hat. In den Stunden nach dem Unfall hing nicht nur ihre Fähigkeit zu laufen, sondern buchstäblich ihr ganzes Leben am seidenen Faden. Mit schwersten Wirbelsäulenverletzungen kam sie in eine Spezialklinik und wurde zig Male operiert. Zu diesem Zeitpunkt hat keiner gedacht, dass sie irgendwann wieder auf zwei Beinen stehen und laufen würde. Keiner, außer ihr Arzt und sie selbst. Für Tanja war klar: Sie muss auf zwei Beinen aus dem Krankenhaus hinauslaufen, weil sie zwei Kinder hat, für die sie verantwortlich ist. Eine andere Option gab es für sie nicht. 

Ihr behandelnder Arzt hat ebenfalls von Anfang an Tanja geglaubt und sie immer und immer wieder motiviert, an sich zu arbeiten und Fortschritte zu erzielen. Sie erinnert sich, wie er sie herausgefordert hat, innerhalb von acht Tagen nach der letzten großen Operation wieder so gut auf den Beinen zu stehen, dass sie zu seinem Büro laufen könnte. Das hat Tanja angespornt und sie hat es in weniger als acht Tagen geschafft. 

Die Dankbarkeit, wieder einigermaßen gesund geworden zu sein, merkt man Tanja in fast jedem ihrer Sätze an. Aus ihrer Art zu erzählen sprüht pure Lebensfreude, “denn das Leben kann so schnell zu Ende sein”. Sie sagt voller Überzeugung, sie sei dankbar für jeden einzelnen Tag, an dem sie leben, laufen und atmen könne. Das ist nicht nur so dahingesagt. Wenn Tanja das sagt, glaubt man es ihr. 

Die Erfahrung des Unfalls und des langen Heilungsprozesses hat Tanja geprägt. Die Erlebnisse haben Spuren hinterlassen. Titan im Körper, tägliche Schmerzen, mal schlimmer, mal weniger. Aber er hat Tanja auch unglaublich zäh gemacht. Der Unfall hat eine Willensstärke in Tanja zutage gebracht, wie sie sie sonst vielleicht nie entdeckt hätte. Sie weiß: “Wenn man dem Kopf sagt, man will, dann hat der Rest des Körpers keine Chance! Dann schafft man, was man sich in den Kopf gesetzt hat.”

Bevor sich Tanja fix zu ALPIN8 angemeldet hat, hat sie sich noch mit ihrem Arzt, der mittlerweile ein guter Freund ist, besprochen und ihn nach seiner Meinung gefragt. Und obwohl dieser sie normalerweise immer anspornt und motiviert, war er im Falle des Everestings skeptisch und zurückhaltend. Diese Reaktion hat Tanja verunsichert. Trotzdem hat sie sich zwei Tage später auf den Weg ins Brandnertal gemacht. Auf der Autofahrt rief er sie an und sagte: “Ich hab mir das Event im Internet angesehen. Mach das. Mach es auf jeden Fall!” Und am Samstag kam er extra aus Zürich angereist und hat zwei Aufstiege mit ihr gemeinsam absolviert. “Das war so berührend! Der Mensch, der mein Leben gerettet hat, läuft gemeinsam mit mir den Berg hoch. Es war so unglaublich”.

Natürlich war das Everesting schwierig für Tanja. Sie hat in den vergangenen 12 Monaten nicht viel Sport gemacht, war seit Anfang des Jahres vielleicht drei Mal auf einer Wanderung mit jeweils 1000 Höhenmetern. Der Blick in den ALPIN8 Trainingsplan hat sie durchaus nervös gemacht – denn diese Fitness hat sie sicher nicht. Was Tanja aber hat: Durchhaltevermögen. Und das braucht man beim Everesting.

Ab der zweiten Runde hat Tanja massive Schmerzen am Ischias, ebenfalls eine Nachwirkung von ihrem Unfall. Als dann ab der neunten Runde Schmerzen in den Achillessehnen dazukommen, vergisst sie den Ischias aber schnell. Denn die Fersen schmerzen mehr. Zeitweise läuft Tanja seitwärts oder rückwärts, um die Fersen zu entlasten. “Da war ich schon unsicher, ob ich weitermachen soll”, erzählt sie und spricht davon, wie ihre Physiotherapeutin, die vor Ort mit dabei war, sie beraten hat. “Dann hab ich beschlossen, weiterzumachen.”

Tanja macht nicht nur weiter, sondern sie motiviert immer wieder andere Teilnehmende, denen sie auf der Strecke begegnet. Gerne passt sie ihr Tempo an, um für ein paar Kilometer gemeinsam zu laufen, sich zu unterhalten und von der Monotonie und auch den Schmerzen abzulenken. “Ich habe tolle Menschen kennengelernt! Man unterhält sich nicht über den Job, sondern über das Leben und das war wunderbar!” Da war beispielsweise ein Teilnehmer, der kurz davor war, nach Runde 12 aufzuhören, weil seine Frau und ihr gemeinsames kleines Kind im Hotel warteten. Da meint sie zu ihm: “Ihr seid zu dritt hierher gekommen, du hast dich lange auf diese Herausforderung vorbereitet, du bist in der 12. Runde – du kannst doch jetzt nicht aufhören! Das schaffen die beiden auch noch ein paar weitere Stunden ohne dich!” Er geht ins Hotel, schläft ein paar Stunden, kommt am nächsten Morgen wieder und beendet sein Everesting.

Auch Tanja schafft ihr Everesting. Die letzte Runde ist sogar die schnellste ihrer insgesamt 17 Aufstiege. “Da war so ein Adrenalin in meinem Körper, als ich in die letzte Runde gestartet bin! Ich bin nicht nah am Wasser gebaut, aber in dem Moment sind mir die Tränen in die Augen geschossen. Aus Respekt vor mir selbst.” Das Eversting hat ihr wieder mal aufs Neue gezeigt, was man schaffen kann, wenn man dem Kopf sagt, dass man es schaffen will. Keine neue Erkenntnis für Tanja, aber eine erneute Bestätigung. 

Die Achillessehnen haben sich nach dem Event zum Glück schnell wieder erholt. Und nun ist Tanja neugierig, in welcher Zeit sie das Everesting mit einer richtigen Vorbereitung schaffen kann!

Text: Saskia Bauer
Bilder: Marius Holler, Sportograf, privat

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